Norden 2009: Von Helsinki nach Oravi
Nun ja, früh aufstehen, und das in den Ferien, das ist
nicht jedermanns Sache. Und ehrlich, auch wir gehören zu jenen, die Mühe
damit haben. Aber wer weiter kommen will, der muss schon einmal den
Wecker auf 6 Uhr in der Frühe stellen. Und es geht - erstaunlicherweise
- ganz gut, soweit.
So sind wir auch rechtzeitig auf dem Bahnhof und schauen uns das Display
mit den abfahrenden Zügen an. Einer geht um acht Uhr, die Zugnummer
stimmt und auch das angegebene Perron. Nur der Ort Mikkeli, den wir
erreichen wollen, der fehlt. Nun ja, wir gehen zum Perron. Es hat
erstaunlich wenige Geleise für einen Bahnhof, der in der Hauptstadt
eines Landes steht. Der Bahnhof von Basel müsste im Vergleich in einer
Millionenstadt stehen.
Wir stehen auf dem Perron 2. Auch ein Zug mit der korrekten Zugnummer
steht da. Er ist modern und verfügt über zweistöckige Waggons. Wir
finden unsere reservierten Plätze unten, richten uns ein. Aber der
Zweifel nagt. Wenige Leute steigen zu. Haben wir da den rechten Zug
gewählt. An der Wagendecke kleben Monitore, doch sie starren wie
schwarze Augen in den Wagen. Nochmals Leute.
Eine Durchsage kommt. Zuerst in finnisch, dann in schwedisch, der zweiten
Landessprache von Finnland. Wir strengen uns an, ob das Wort Mikkeli zu
hören ist. Nichts davon. Was soll es, jetzt ist es ohnedies zu spät,
denn der Zug rollt langsam an. Pünktlich, nach Fahrplan und abgesehen
davon, einen
anderen Zug, der zur selben Zeit abfährt, den haben wir nicht entdeckt.
Erstaunlich wenige Leute sind eingestiegen. Da hätten wir uns ja die
Platzreservierung sparen können. Schon hält er wieder. Leute steigen zu.
Der Zug rollt an, um kurz darauf wieder anzuhalten. Ist das wirklich ein ICE,
wie er angeschrieben ist. Er gleicht doch mehr einem Vorortsbummler.
Weitere Leute steigen zu. Der Wagen füllt sich. Zumindest wissen wir
jetzt, dass sich die Reservation gelohnt hat. Eigentlich ist es auch
logisch, dass erst in den Vororten von Helsinki die meisten Leute
einsteigen, weil dort auch die Mehrheit der 500'000 Einwohner lebt.
Sanft rollt der Zug nun mit hoher Geschwindigkeit von Helsinki weg.
Durchsagen hat es gegeben. Wir hören die Worte, verstehen sie aber immer
noch nicht, denn diese werden nur in finnisch und schwedisch gesprochen,
aber nicht etwa in englisch. Und Mikkeli? Nein, kein Wort klingt nur im
Entferntesten danach.
Ein ungutes Gefühl in der Magengegend wächst. Keine feine Art zu reisen,
ehrlich. Zudem verfinstert sich der Himmel draussen weiter. Auch die
Landschaft ist alles andere als aufmunternd mit Industriebauten und
einförmigen Wohngebäuden. Die Bildschirme an der Decke bleiben schwarz.
Allmählich wechselt die Szenerie draussen. Vorab Wälder sausen vorbei,
dann öffnet sich der Vorhang kurz. Der Blick fällt in ein Flusstal mit
Booten, einer Ortschaft und in die ferne mit Feldern. Der Waldvorhang
schliesst sich wieder.
Nun wird längere Zeit eine Autobahn ein Begleiter auf der Strecke. Noch
immer ist kein Kondukteur erschienen und hat nach unseren Tickets
gefragt. Das wäre eine gute Sache, wüssten wir dann doch, ob wir
wirklich im richtigen Zug sitzen. Eine kurze Aufhellung verfliegt. Die
Wolken werden dichter und dichter. Auf diese Weise bringen sie auch
keine Erleichterung in unserer ungewissen Situation, im Gegenteil... Die
Spannung steigt!
Da die Stimme eines Mannes, der in Finnisch in den Wagen ruft. Zwar
verstehen wir ihn nicht und dennoch ist es klar, er will die Tickets
sehen. Sein Tonfall reicht, um zu verstehen was er will. Jetzt ist er
bei uns und schaut sich sie genau an. Dreht sie, wendet sie... Sitzen
wir doch im falschen Zug? Seine geöffnete Zange hält er in der Hand,
zögert, ob er das dicke Papier in deren Schlund schieben soll. Wenn wir
doch im falschen Zug sitzen, wohin fahren wir dann nur? Ein letzter
Blick, klick, klick klick, klick. Er geht weiter. Wir atmen auf.
Auch das Wetter draussen hellt auf. Die Sonne dringt durch, blauer
Himmel wird sichtbar. Alles scheint zu stimmen. Nach wenigen weiteren
Halts fahren wir in einen grösseren Bahnhof ein, bei dem viele Loks
stehen, Remisen und erstaunlich viele Geleise vorhanden sind, mehr als
in Helsinki. Eine Durchsage kommt, aber auch hier nur in finnisch und
schwedisch wie auch die Bildschirme durch kein Flackern belebt werden.
Aber immerhin hören wir jetzt ganz deutlich das Wort Mikkeli. Wir sind
beruhigt.
EIn Sitznachbar steigt aus um eine Zigarette zu rauchen, Leute steigen
ein, kaum jemand aus. Nach gut zehn Minuten rollt der Zug wieder an.
Aber wieso denn in die Richtung, von der wir gekommen sind? Hätten wir
aus- und umsteigen müssen? Aber weder der Kondukteur hat uns etwas
gesagt noch steht etwas in unseren Unterlagen. Nun ist es wieder da, das
beklemmende Gefühl in der Magengegend. Beruhigend ist, dass kaum jemand
ausgestiegen ist.
Nun scheint der Zug in eine sanfte Kurve einzubiegen. Also doch keine
Fahrt zurück. Ein See blitzt auf, den wir noch nicht gesehen haben, auch
ändert sich die Landschaft. Der Waldsaum ist lockerer, gibt Durchblicke
frei. Die Sonne strahlt draussen. Also nach Helsinki zurück fahren wir
nicht, das ist schon einmal gut, aber, wie war das mit dem Umsteigen?
Aussteigen, das geht nicht mehr. Schauen wir doch einmal, wo wir landen
werden. Der Waldsaum öffnet sich immer wieder und gibt den Blick frei
auf Seen, Felder und Ortschaften. Immer wieder hält der Zug.
Der Zeiger rückt gegen 11 Uhr. Ankunft Mikkeli ist laut Fahrplan 11.05
Uhr. Niemand scheint aussteigen zu wollen, denn niemand schaut nach dem
Gepäck, um bereit zu sein, wenn der Zug hält. Also holen wir jetzt
unsere Koffer herunter. Das scheint wie ein Signal zu wirken. Bewegung
kommt in den Wagen. Jacken werden angezogen, Koffer herunter geholt. Der
Zug hält an. Wir steigen aus. UNd da stehen sie unsere Freunde, Vreni
und Jochen, mit denen wir weiter reisen werden.
Noch in Mikkeli besuchen wir ein Gut, das offensichtlich auch das
Zentrum einer Selbsthilfeorganisation ist, die Anfang des letzten
Jahrhunderts gegründet worden ist: Martha! Unter anderem scheint sich
martha für den Erhalt der finnischen Tradition eingesetzt zu haben, war
aber auch Ratgeber im Alltag und produzierte respektive verkaufte die
unterschiedlichsten Produkte. Auch Kurse gab und gibt Martha. Und wir,
wir profitieren von einem wunderbaren Mittagsbuffet und dem prächtigen
Garten mit Pavillon mitten im Grünen.
Die Weiterfahrt mit dem Auto führt uns an Seen, Wäldern und Feldern
vorbei. Eine sanfte, liebliche Landschaft bezaubert uns. Wir legen
mehrere Halte ein, etwa bei einem Felsen, der den Blick in die
Seenlandschaft freigibt, bei einem Hotel, am Rande eines Sees, bei dem
ein grösseres Ausflugsboot ankert und ein altes Dampfschiffchen bereit
zur Abfahrt ist.
Die Reise geht weiter nach Savonnlina mit seiner alten Festung. Ein
Spaziergang entlang dem Seeufer ist faszinierend. Viele leute sind
unterwegs, denn in der Festung geht eine Konzertreihe zu Ende. An diesem
Abend spielt ein italienisches Orchester. Wir fahren weiter nach Oravi,
unserem Ort, wo wir drei Tage verweilen werden, um die Gegend etwas
auskundschaften zu können.